Jugendgerichtsverfahren - JGG -
© RA Mathias Noll 2018
Das Jugendgerichtsverfahren
Das Jugendgerichtsverfahren ist ein „besonderes“ Strafverfahren bei denen mit
erzieherischen Mitteln versucht wird auf den straffällig gewordenen Jugendlichen oder
Heranwachsenden einzuwirken. Es steht nicht Strafe und (damit) Tatvergeltung im Vordergrund
sondern Mittel und Wege zu finden, diesen von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.
Im Mittelpunkt steht der sog. Erziehungsgedanke.
Strafrechtlich verantwortlich, d.h. strafmündig ist in Deutschland nur derjenigen, der
mindestens 14 Jahre alt ist. Als Heranwachsende sind diejenigen, die im Alter zwischen 18
und 20 Jahren Straftaten begehen.
Das Jugendstrafrecht kommt bei Jugendlichen immer, bei Heranwachsenden nur dann zur
Anwendung, wenn dieser in seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem
Jugendlichen gleichstand oder es sich bei der Tat um eine typische Jugendverfehlung
handelt.
Zuständig für das Jugendstrafverfahren ist, anders bei einem Erwachsenstrafverfahren,
grundsätzlich das Amtsgericht am Wohnort des Jugendlichen/Heranwachsenden. Dies
belastet den Jugendlichen am wenigsten und es bietet den Vorteil, dass der Richter den
straffällig gewordenen Jugendlichen im Blick behalten kann und er bei weiteren Straftaten,
egal wo in Deutschland, immer wieder bei ihm landet. So kann er die notwendigen Sanktionen
besser bestimmen.
In der Regel entscheidet der Jugendrichter als Einzelrichter. Schwerere Delikte, bei denen in
der Regel Freiheitsstrafen verhängt werden, werden vor dem Jugendschöffengericht
verhandelt. Diese ist mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen besetzt ist. Ausnahmsweise,
nämlich in Fällen schwerster Kriminalität wird Anklage vor dem Landgericht im Bezirk des
Jugendlichen erhoben. Zuständig ist dann eine sog. Jugendstrafkammer.
Bei jeder Staatsanwaltschaft gibt es eine eigene Abteilung mit Jugendstaatsanwälten/innen.
Auch das Gericht ist mit besonders geschulten Jugendrichtern besetzt. Selbst die Schöffen
müssen pädagogisch qualifiziert sein.
Bei Jugendlichen sind die Eltern am Verfahren beteiligt. Sie vertreten den jugendlichen
Straftäter gegenüber Behörden und Strafverfolgungsbehörden.
Eine weitere Besonderheit ist die im Jugendstrafverfahrens beteiligte Jugendgerichtshilfe. Die
Jugendgerichtshilfe soll den noch jungen Straftäter und dessen Familie beraten und
unterstützen. Sie nimmt deshalb Kontakt zum Jugendlichen/Heranwachsenden auf und
nimmt regelmäßig an den dann stattfindenden Gerichtsverhandlungen teil. Sie unterbreitet
dem Gericht einen Vorschlag hinsichtlich zu ergreifender Sanktionen, etwa bei einer
Verfahrenseinstellung oder einem mögliches Urteil. Sie ist auch für die Vermittlung und
Überwachung sozialer Arbeitsstunden zuständig. Schlussendlich berät die Jugendgerichtshilfe
quasi das Gericht dahingehend, welche Reife der Jugendliche hat und/oder ob der
heranwachsende Straftäter nach seiner Reife und Entwicklung eher wie ein Jugendlicher
(dann Jugendstrafrecht) oder schon wie ein Erwachsener (dann normales Strafrecht) behandelt
werden sollte.
Die Hauptverhandlung gegen einen Jugendlichen ist im Gegensatz zu einer Verhandlung
gegen einen Heranwachsenden oder Erwachsenen nichtöffentlich.
Während das normale Strafrecht gegen Erwachsene nur zwei echte Strafen, nämlich Geld- und
Freiheitsstrafe kennt, ist der Katalog im Jugendstrafverfahren sehr viel weiter. Eine
Freiheitsstrafe, die sog. Jugendstrafe ist das letzte Mittel was angewandt wird, wenn alle
anderen Sanktionen versagt haben oder wenn auf Grund besonderer Umstände die
Verhängung einer Jugendstrafe unumgänglich macht.
Möglichkeiten im Jugendstrafrecht:
1. Einstellung des Verfahrens gemäß §§ 45, 47 JGG
Im Jugendstrafrecht besteht zunächst die Möglichkeit das Strafverfahren bereits durch die
Staatsanwaltschaft einzustellen. Dabei kann der Staatsanwalt ohne Zustimmung des Richters
von der Verfolgung absehen, wenn eine geringe Schuld beim jugendlichen Täter vorliegt. Dies
ist insbesondere bei Ersttaten verbreitete Praxis.
Der Staatsanwalt sieht auch dann von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme
bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Gerichts, noch die
Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen
des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, ggf. über einen
freiwilligen sog. „Täter-Opfer-Ausgleich“.
Der Staatsanwalt regt die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen oder von Auflagen
durch den Jugendrichter an, wenn dieser geständig ist und der Staatsanwalt die Anordnung
einer solchen richterlichen Maßnahme für erforderlich, die Erhebung der Anklage aber nicht
für geboten hält. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der
Verfolgung ab, bei Erteilung von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der
Jugendliche ihnen nachgekommen ist.
Die Staatsanwaltschaft oder das Gericht können bei einer solchen Einstellung des Verfahrens
die verschiedensten Auflagen machen. So kommt etwa gemeinnützige Arbeit, die
Verpflichtung, sich einer besonderen Betreuung oder Therapie zu unterziehen, die
Schadenswiedergutmachung oder ein Täter-Opfer-Ausgleich in Frage. Das Jugendgericht ist,
was Weisungen betrifft, relativ frei. Im Kern steht immer die Frage, wie kann der noch
jugendliche Straftäter von weiteren Straftaten abgehalten werden.
2. Verurteilung
Kommt eine (obige) Verfahrenseinstellung nicht mehr in Betracht, so fragt sich, zu was der
Jugendliche oder Heranwachsende vom Gericht verurteilt werden kann.
a) Erziehungsmaßregeln §§ 9 ff. JGG
An erster Stelle der Sanktionsmöglichkeiten stehen hier die so genannten
"Erziehungsmaßregeln", die im Prinzip den Auflagen und Weisungen entsprechen, die bei einer
Einstellung gemacht werden können. Entscheidender Unterschied ist allerdings, dass eine
Verurteilung im Erziehungsregister als Teil des Bundeszentralregister erfasst wird und zu
einer "Vorstrafe" führt.
b) Zuchtmittel §§ 13 ff. JGG
Der Richter ahndet die Straftat mit Zuchtmitteln, wenn Jugendstrafe nicht geboten ist. dem
Jugendlichen aber eindringlich zum Bewusstsein gebracht werden muss, dass er für das von
ihm begangene Unrecht einzustehen hat.
Zuchtmittel sind
1. die Verwarnung,
2. die Erteilung von Auflagen,
3. der Jugendarrest, wenn die Verwarnung oder die Erteilung von Auflagen nicht ausreicht.
Eine Verwarnung bedeutet die eindringliche Vorhaltung des Unrechts der Tat durch das
Gericht, welche oft mit Auflagen wie etwa einer Schadenswiedergutmachung, der
aufrichtigen Entschuldigung beim Tatopfer oder Sozialstunden verbunden wird.
Jugendarrest kann entweder als ein oder zwei Wochenendarresten (jeweils von Freitagmittag
bis Sonntagnachmittag) oder eines Dauerarrestes bis zu vier Wochen verhängt werden. Die
Vollstreckung findet nicht in einer JVA sondern in speziellen Jugendarresteinrichtungen statt.
c) Jugendstrafe §§ 17 ff. JGG
Der Jugendrichter verhängt dann eine Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen
des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel
zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld diese Strafe
erforderlich ist.
Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre.
Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine
Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß
zehn Jahre.
Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht.
Die Jugendstrafe ist so zu bemessen, das die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich
ist.
Kann nach Erschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilt werden, ob
in der Straftat eines Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten
sind, dass eine Jugendstrafe erforderlich ist, so kann der Richter die Schuld des Jugendlichen
feststellen, die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe aber für eine von ihm zu
bestimmende Bewährungszeit aussetzen. Die Bewährungszeit darf zwei Jahre nicht
überschreiten und ein Jahr nicht unterschreiten. Sie kann nachträglich bis auf ein Jahr verkürzt
oder vor ihrem Ablauf bis auf zwei Jahre verlängert werden. Der Jugendliche wird für die Dauer
oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers
unterstellt.
Bei der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die
Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass der Jugendliche sich
schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des
Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen
rechtschaffenen Lebenswandel führen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des
Jugendlichen, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine
Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu
erwarten sind. Das Gericht setzt die Vollstreckung der Strafe auch dann zur Bewährung aus,
wenn die vorgenannte Erwartung erst dadurch begründet wird, dass neben der Jugendstrafe
ein Jugendarrest verhängt wird.
Das Jugendgericht setzt auch dann die Vollstreckung einer höheren Jugendstrafe, die zwei
Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aus, wenn die Vollstreckung im Hinblick auf die
Entwicklung des Jugendlichen nicht geboten ist. Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil
der Jugendstrafe beschränkt werden. Sie wird auch durch eine Anrechnung von
Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.
Der Jugendrichter bestimmt die Dauer der Bewährungszeit. Sie darf drei Jahre nicht
überschreiten und zwei Jahre nicht unterschreiten. Sie kann nachträglich bis auf ein Jahr
verkürzt oder vor ihrem Ablauf bis auf vier Jahre verlängert werden.
Der Richter soll für die Dauer der Bewährungszeit die Lebensführung des Jugendlichen durch
Weisungen erzieherisch beeinflussen. Er kann dem Jugendlichen auch Auflagen erteilen. Diese
Anordnungen kann er auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben.
Macht der Jugendliche Zusagen für seine künftige Lebensführung oder erbietet er sich zu
angemessenen Leistungen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen, so sieht
der Richter in der Regel von entsprechenden Weisungen oder Auflagen vorläufig ab, wenn die
Erfüllung der Zusagen oder des Anerbietens zu erwarten ist.
Der Richter unterstellt den Jugendlichen in der Bewährungszeit für höchstens zwei Jahre der
Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers. Er kann eine getroffene
Entscheidung vor Ablauf der Unterstellungszeit ändern oder aufheben; er kann auch die
Unterstellung des Jugendlichen in der Bewährungszeit erneut anordnen.
Der Bewährungshelfer berichtet über die Lebensführung des Jugendlichen in Zeitabständen,
die der Richter bestimmt. Gröbliche oder beharrliche Verstöße gegen Weisungen, Auflagen,
Zusagen oder Anerbieten teilt er dem Richter mit.
Das Gericht widerruft die Aussetzung der Jugendstrafe, wenn der Jugendliche
1. in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der
Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat,
2. gegen Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt oder sich der Aufsicht und Leitung
des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er
erneut Straftaten begehen wird, oder
3. gegen Auflagen gröblich oder beharrlich verstößt.
Das Gericht sieht jedoch von dem Widerruf ab, wenn es ausreicht,
1. weitere Weisungen oder Auflagen zu erteilen,
2. die Bewährungs- oder Unterstellungszeit bis zu einem Höchstmaß von vier Jahren zu
verlängern oder
3. den Jugendlichen vor Ablauf der Bewährungszeit erneut einem Bewährungshelfer zu
unterstellen.
Widerruft der Richter die Strafaussetzung nicht, so erlässt er die Jugendstrafe nach Ablauf der
Bewährungszeit.